Corona-Virus: „Viele Betroffene unterschätzen das Risiko"

Zwischen Panik und Sorglosigkeit gibt es Möglichkeiten für Menschen, die zur Covid-19-Risikogruppe gehören, etwas Gutes für sich zu tun - und zwar sofort! Wir haben darüber mit Uwe Stegemann, dem 1. Vorsitzenden von Sozialhummel e.V. gesprochen.

Das Corona-Virus beherrscht seit Monaten die Schlagzeilen und öffentlichen Diskussionen. Eine Risikogruppe findet dennoch viel zu wenig Beachtung: Die Menschen mit Behinderung und Vorerkrankung, für die eine Ansteckung lebensbedrohlich sein kann. Doch jeder kann etwas zu seinem Schutz tun! Uwe Stegemann, Vorsitzender des Sozialhummel e.V. lebt derzeit zum Beispiel trotz Vollzeitpflege in freiwilliger Quarantäne. MOBITPP hat mit ihm gesprochen.
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Corona: "Unterschätzte Gefahr"
Uwe Stegemann, Aktivist für Behindertenrechte und Gründer und Erster Vorstand von Sozialhummel e.V.

MOBITIPP: Herr Stegemann, wie geht es Ihnen im Augenblick?

Uwe Stegemann: Danke, ich fühle mich soweit gut. Ich habe mich von Anfang an mit dem Corona-Virus und was es für mich bedeutet, auseinandergesetzt und glücklicherweise früh genug vorgesorgt. Mit Schutzmaßnahmen, Medikamenten, Mundschutz, Latexhandschuhen und Desinfektionsmitteln. Das hilft jetzt. Allerdings reicht der kleine Vorrat nur noch wenige Tage. Dann muss man sehen, wie die Versorgungslage in den Apotheken und Drogeriemärkten ist.

Erhöhte Ansteckungsgefahr durch Karneval

MOBITIPP: Seit wann leben Sie in freiwilliger Quarantäne und warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?

Uwe Stegemann: Ich lebe seit Karneval in häuslicher Quarantäne. An Karneval grassieren Erkältungs- und Grippeviren zuhauf in der Bevölkerung. Ich wohne in Bonn, also in der Nähe der Karnevalshochburgen. Weil ich Influenza-Impfungen nicht vertrage, musste ich in dieser Zeit schon immer besonders vorsichtig sein. Ich hatte die Impfungen dreimal in Folge ausprobiert. Jedes Mal hat mein Körper mit Fieber und Lungenentzündung reagiert. Dies ist für die Risikogruppe, zu der ich gehöre, schlichtweg lebensbedrohlich.
In diesem Jahr kam noch das Corona-Virus hinzu, das auch Experten als mindestens so gefährlich wie die Influenza einschätzten. Da war mir klar, dass ich mich und meine Assistenten schützen muss. Eine Gefahr ist ja auch, dass es bei Symptomen schwer möglich ist, eine Erkältung, eine Grippe oder eine Coronainfektion voneinander zu unterscheiden. Da kann man bei bestem Willen etwas übersehen. Zudem gibt es noch immer zu wenige Tests, um alle Menschen sofort zu testen.

Eigene Hygienekette entwickelt

MOBITIPP: Sie leben mit Muskelatrophie und sind auf Vollzeitpflege angewiesen. Wie sehen Ihre Schutzmaßnahmen aus?

Uwe Stegemann: Wir achten penibel auf Einhaltung einer selbst entwickelten Hygienekette, die sich aus unseren täglichen Abläufen ergibt. Natürlich praktizieren wir die Maßnahmen, die aktuell von den Experten genannt werden. Wir waschen die Hände penibel, desinfizieren sie regelmäßig und tragen einen Mundschutz, wo er sinnvoll ist. Einige Maßnahmen gehörten schon immer zu unserem Alltag. Durch die aktuelle Lage haben sie nur noch an Bedeutung gewonnen. Neu ist unter anderem, dass wir ausnahmslos alle Einkäufe abwaschen oder desinfizieren.

MOBITIPP: Sind Ihre Assistenten mit Ihnen in Quarantäne gegangen?

Uwe Stegemann: Meine persönlichen Assistenten sind nicht in Quarantäne. Das birgt gewisse Gefahren, die wir durch Absprachen, wie wir mit Schnittstellen umgehen, minimieren. So wechseln sie die Straßenkleidung nicht im Wohnbereich, sondern notfalls auf dem Balkon. Das Assistentenzimmer ist eine Art Schleuse für die Desinfektion geworden. Nach jeder Schicht wird es gereinigt und desinfiziert.

MOBITIPP: Gehen Sie jetzt gar nicht mehr vor die Tür?

Uwe Stegemann: Ich gehe noch immer mit dem Hund in der Natur spazieren. In Absprache mit meinem Hausarzt halte ich nach Möglichkeit drei Meter Abstand zu anderen Menschen. Wenn nötig, fahre ich zum Einkaufen, mit Mundschutz, Latexhandschuhen und anderen sinnvollen Vorkehrungen.
Nach reiflicher Abwägung habe ich mich vor wenigen Tagen nach Voranmeldung und Absprache sogar zu einem dringenden Zahnarztbesuch entschieden. Ich wollte vermeiden, dass ich vielleicht in wenigen Wochen als Notfall behandelt werden muss und ich mich nicht darauf einstellen kann. In der Praxis habe ich aber vorsichtshalber mit Schutzkleidung auf dem Hausflur gewartet und nicht im Wartezimmer. Andere Angelegenheiten, die ich bisher persönlich erledigt habe, mache ich online oder telefonisch. So halte ich zum Beispiel Kontakt mit meinem Hausarzt.

MOBITIPP: Wie nah ist das Corona-Virus in Ihr Lebensumfeld gekommen?

Uwe Stegemann: Spontan fallen mir zwei Vorfälle ein, die gezeigt haben, dass die Quarantänemaßnahmen gerechtfertigt sind. In beiden Vorfällen hatte ich eine Begegnung mit anderen als den eigenen Assistenten, von denen es später hieß, dass sie erkrankt seien. Einmal war der Ort der Begegnung ein Auto – ohnehin ein besonderer Gefahrenherd der Übertragung.

Das Immunsystem stärken

MOBITIPP: Was kann ein Betroffener tun, der im Augenblick keine Möglichkeit hat, sich in einen geschützten Raum zurückzuziehen oder sich mit Desinfektionsmitteln und anderen Hilfsmitteln zu versorgen?

Uwe Stegemann: Wichtig ist es auch, sein Immunsystem auf natürliche Weise zu stärken und insgesamt in guter körperlicher und psychischer Verfassung zu bleiben. Den positiven Einfluss auf unsere Gesundheit kann man gar nicht überschätzen. Ich ernähre mich zum Beispiel vernünftig, vermeide Stress, sorge für ausreichend Schlaf und lenke mich mit Aktivitäten ab, die mich entspannen. Zusätzlich nehme ich zum Beispiel hochwertige Vitamin- und Gemüsekomplexe zu mir. Mit den Jahren weiß man ja, was einem guttut. Panik ist jedenfalls der schlechteste Ratgeber.

MOBITIPP: Fühlen Sie sich von den offiziellen Stellen, von der Politik und den Medien ausreichend informiert?

Uwe Stegemann: Anfangs konnte niemand die Gefahr des neuartigen Virus wirklich einschätzen. Dann gab es bald gute, aber teils auch widersprüchliche Informationen. Die eigentliche Risikogruppe, die Menschen, für die eine Ansteckung aufgrund ihrer Vorerkrankung oder Behinderung tödlich ausgehen kann, wurde jedoch völlig vernachlässigt.
Das werfe ich den verantwortlichen Politikern auch vor. Denn dieses mangelnde Problembewusstsein hatte zwei Effekte: Viele Betroffene konnten die Gefahren nicht gut genug für sich einschätzen und versäumten es, sich rechtzeitig mit Atemmasken, Desinfektionsmittel und Einmalhandschuhen zu versorgen. Die Bevölkerung wiederum geriet in Panik und entwickelte kein Verständnis dafür, dass diese Produkte für Menschen mit Vorbelastungen lebensrettend sein können und nicht nur beruhigend. Das trug zu den großen Hamsterkäufen bei.
Ich hoffe, die Informationen werden bald differenzierter und es ändert sich noch etwas in der allgemeinen Einschätzung, wer nach jetzigen Erkenntnissen wirklich bei einer Ansteckung bedroht ist.

Sozialhummel e.V. in Betrieb

MOBITIPP: Ist Ihr Sozialhummel e.V. in Bonn derzeit aktiv?

Uwe Stegemann: Ja, wir haben schon sehr früh entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Zum Beispiel durch Arbeit im Home Office. Wir haben einen vielseitigen Blick auf die Entwicklung und versuchen, auf alles schnell zu reagieren.
Aber man muss auch sagen: Wir können zwar Maßnahmen ergreifen, um unsere Assistenten bestmöglich zu schützen. Auf das Verhalten unserer Kunden haben wir aber keinen Einfluss. Da vermissen wir noch häufig das Risikobewusstsein. Manche verdrängen einfach, wie gefährdet sie sind, und gefährden dadurch andere. Hier brauchen wir noch bessere und intensivere Aufklärungsarbeit.

MOBITIPP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stegemann.

10 Empfehlungen von Uwe Stegemann

  1. Sehen Sie einer möglichen Gefahr ins Auge und verdrängen Sie sie nicht, wenn Sie zur Risikogruppe gehören.
  2. Geben Sie nicht auf, nach hilfreichen Produkten wie Atemmasken zu fragen. Discounter haben Desinfektionsprodukte teils aufgestockt und geben nur noch begrenzte Mengen ab.
  3. Scheuen Sie sich nicht, auch draußen Hilfsmittel wie Atemmasken und Einmalhandschuhe zu nutzen.
  4. Entwickeln Sie eine möglichst lückenlose Hygienekette und halten Sie sie genau ein.
  5. Halten Sie räumlichen Abstand zu anderen Personen.
  6. Nutzen Sie das Internet, E-Mail und das Telefon zur Organisation ihres Alltags.
  7. Stärken Sie Ihr Immunsystem durch gesundes Leben – wenig Stress, viele Vitamine und ausreichend Schlaf.
  8. Ist ein Arztbesuch unvermeidlich, stimmen Sie den Termin ab und fragen Sie im Vorfeld, ob Sie andere Räumlichkeiten als das Wartezimmer nutzen dürfen.
  9. Halten Sie sich aus seriösen Quellen wie dem Robert-Koch-Institut auf dem Laufenden: www.rki.de
  10. 10. Schützen Sie nicht nur sich selbst, sondern auch Ihre Familie und Ihre persönlichen Assistenten, indem Sie auf sich achten.

(Text: Birgit Bauer)

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