Conny Runge: Wenn in der E-Mail steht‚ Es macht wieder Spaß!‘

Nach ihrem Unfall mit Querschnittlähmung vor rund 20 Jahren hat sich Conny Runge nebenberuflich zur Sexualberaterin weiterentwickelt.

Letzten Herbst ist Conny Runge der Liebe wegen von Berlin nach Köln umgezogen. Neben ihrer Haupttätigkeit in einer Reha-Firma ist die 40-Jährige jetzt häufig für die Fördergemeinschaft FGQ als Sexualberaterin im Rhein- und Ruhrgebiet unterwegs und baut den Bereich aus. Ihr Rat ist in Kliniken, bei Betroffenen und Angehörigen gefragt. Türöffner für Gespräche sind auch ihre Kurse als Deutschlands erste zertifizierte Zumba-Trainerin im Rollstuhl.
© Conny Runge
Vielseitig: Conny Runge
Conny Runge ist seit einem Sturz aus dem Fenster mit 19 Jahren querschnittgelähmt. Sie nahm ihr Leben bald wieder in die eigenen Hände. Ihr Sportstudium gab sie auf, wechselte zum Maschinenbau. Heute ist sie in Köln-Lindlar für den Reha-Fachhändler Rehability in der Blasen-/Darmberatung unterwegs und für die Events am Filialstandort verantwortlich. Neben der Sexualberatung gehört die Leidenschaft von Conny Runge nach wie vor dem Sport. Sie ist Deutschlands erste zertifizierte Zumba-Trainerin im Rollstuhl und hat sich vorgenommen, die Sportart durch ihre Schnupperkurse deutschlandweit bekannt zu machen.

MOBITIPP: Frau Runge, wie kommt es, dass Sie sich der Sexualberatung zugewandt haben?

Conny Runge:  Im Rollstuhlteam meines Arbeitgebers nach dem Studium fragte mich ein Kollege, ob ich ihn in der Sexualberatung mit meiner Sicht und Erfahrung als Frau mit Querschnitt unterstützen möchte.

Später kam ich selbst immer häufiger mit Kliniken, Verbänden und Unternehmens ins Gespräch. Zum Beispiel bin ich jeden Donnerstag im Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe in Bonn vor Ort und berate Patientinnen und Patienten. Manchmal sind es intensive Gespräche, manchmal geht es vor allem ums Zuhören. Außerdem halte ich Vorträge in Kliniken, bei Verbänden und in Unternehmen. Nach einer Präsentation erzähle ich von mir. Daran schließen sich immer viele Fragen von den Zuhörern an.

Die Beratung macht mir große Freude. Sexualität ist ein menschliches Grundbedürfnis und schließlich ändert sich durch einen Querschnitt viel im Leben. Ich war vor meinem Unfall sexuell aktiv und mir und meinem Partner war klar, dass Sexualität weiterhin zu unserem Leben gehören soll. Da ist es ein Glücksfall, wenn man sich offen mit anderen Betroffenen austauschen kann.

„Mut, seinen Körper anderen zu zeigen, lohnt sich!“

MOBITIPP: Ist denn Sexualität schon bald nach der Operation ein Thema?

Conny Runge: Meistens ist es schon so, dass jeder erst einmal medizinisch mit seinem Körper beschäftigt ist und das Sexuelle wegschiebt. Man hat ja plötzlich einen komplett neuen Körper. Das muss man erst einmal akzeptieren lernen, bevor man ihn einem anderen Menschen zeigen mag. Dazu gehört viel Mut, aber es lohnt sich.

Trotzdem gibt es schon erste Fragen. Frauen interessiert häufig, ob sie noch Mutter werden können. Männer wollen meist wissen, ob sie wieder einen Orgasmus erleben können. Das ist jetzt sehr plakativ ausgedrückt, aber diese Unterschiede gibt es tendenziell.

Häufig berate ich meine Klienten auch zu Hause weiter. Aus dem praktischen Erleben entwickeln sich noch einmal ganze andere Themen und Fragen.

MOBITIPP: Was interessiert Ihre Klienten denn im Allgemeinen?

Conny Runge: Oft kommen sie mit Fragen, für die es im Internet nur ganz allgemeine Antworten gibt. Frauen wollen oft wissen, was sie bei einem Kinderwunsch beachten müssen. Es gibt zwar Empfehlungen für eine Schwangerschaft bei Querschnitt und Kinderwunsch, aber vielen Frauen ist das zu theoretisch. Sie wollen gern auch persönliche Detailfragen stellen und auf Augenhöhe sprechen.
Das wünschen sich auch die Männer. Sie fragen häufig nach medizinischen Hilfsmitteln, damit eine Ejakulation stattfinden kann. Auch Stellungen sind ein Thema und die weitere medizinische Versorgung. In welche Ambulanz komme ich überhaupt mit Rollstuhl rein? Wo finde ich Ärzte mit Erfahrungen in der Behandlung von Patienten mit Querschnitt?

Und dann gibt es den großen Themenkreis Darm-/Blasenmanagement. Dieses Thema gehört unbedingt dazu, wenn man über sexuelle Aktivitäten spricht. In diesem Zusammenhang geht es auch oft um die richtige Ernährung. Frauen haben außerdem häufig mit Harnwegsinfektionen zu tun und brauchen Rat, wie sie damit am besten umgehen.

Erogene Zonen lassen sich verlagern

MOBITIPP: Kann man das Spüren von Zärtlichkeit und Lust neu erlernen?

Conny Runge: Ja, das läuft über den Kopf. Was nützt es, wenn ein Mensch Sexualität zum Beispiel vor allem durch Selbstbefriedigung erlebt hat und in dieser Körperregion nun kein Gefühl mehr hat? Dann muss man das sexuelle Empfinden in einen anderen Bereich verlagern. Das kann man üben. Das funktioniert.

Das gilt auch für Männer, deren Orgasmus vor allem über ihr Geschlechtsteil definiert ist. Da muss man umdenken und das Empfinden über den Kopf, den Nacken, die Schulter, über den ganzen Oberkörper umleiten. Das kann auch ein lustvolles Spiel für Paare sein, bei dem sich beide wieder neu entdecken.
MOBITIPP: Welche Fragen haben nicht betroffene Partner?

Conny Runge: Männer sind oft besorgt, dass sie ihrer Partnerin wehtun könnten. Gerade, wenn sie nach der Operation oder den Wochen danach noch mit Schmerzen oder Spastiken zu tun haben.
Häufig kommen auch Fragen nach Stellungen. Das ist natürlich von den körperlichen Möglichkeiten und von den Vorlieben abhängig. Da gibt es keine pauschalen Antworten. Ein weiteres Thema: Bei Frauen mit Querschnitt fällt die Scheidenfeuchtigkeit aus. Ein Tipp ist, Gleitgel auszuprobieren oder Sanddornöl aus Kapsel einzusetzen.

Ich kann da immer wieder nur ermuntern, vieles auszuprobieren. Sexualität ist eine schöne Sache, und die kann es auch mit Querschnitt bleiben.

„Seinen Partner zu erregen, stärkt das Selbstwertgefühl“

MOBITIPP: Vieles auszuprobieren scheint ein Geheimnis zu sein, wie man sich wieder als Mann oder Frau erleben kann!?

Conny Runge: Das ist richtig. Es tut ja auch schon gut, wenn man erlebt, dass man seinen Partner erregen und ihn glücklich kann machen. Man fühlt sich in seiner Identität gestärkt und gewinnt neues Selbstwertgefühl als Mann oder Frau.

MOBITIPP: Bekommen Sie auch Anerkennung für Ihre Arbeit?

Conny Runge: Aber ja. Erst kürzlich schrieb mir eine junge Frau, die mich nach einem Vortrag nach einem Tipp gefragt hat: ‚Es macht wieder Spaß!‘ Darum geht schließlich.

Hier geht es zu Conny Runges Facebook-Profil: https://www.facebook.com/conny.runge.3

(Text: Brigitte Muschiol)

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